Praktische Philosophie



Um Missverständnisse auszuschließen möchte ich eine Klärung voranstellen. Philosophie betrachte ich zum einen als eine spezifische Fachwissenschaft, zum anderen sehe ich sie als Prinzip aller Wissenschaften und schließlich als Ratgeberin für ein gelingendes Leben.

Der griechische Wortstamm des Begriffes ‚Philosophie‘ umschließt philia – Freundschaft, Liebe und sophia – Weisheit. Sophia stellt die Weisheit in den Bezug zu jedweder Art von Wissen oder Fertigkeit, wobei die Tiefe der Kenntnisse oder der Könnerschaft über sich hinausweist und den Betrachtungshorizont geöffnet hat für die Einordnung des Besonderen in das Allgemeine. Damit sind alle drei Aspekte des Philosophiebegriffs (Philosophie als Fachwissenschaft; Philosophie als Prinzip; Philosophie als Lebensweisheit) abgedeckt. Das diese drei Aspekte des Philosophiebegriffs Zusammenbindende ist das Wahrheitsstreben.

Seit allem Anfang des Menschen stellt sich dem Individuum die Aufgabe der Lebensbewältigung. In vorwissenschaftlicher Zeit war es das Ideal des Weisen, der diese Aufgabe vorbildlich erfüllte. Es ging nie nur um Überleben, sondern um die angemessene Form der Lebensführung, die das Verhältnis, in das sich das Individuum bei seiner Weltbegegnung jeweils bringt, in achtbarer und erfüllender Weise zu definieren weiß. Das ist, es sei nochmals betont, das Lebensproblem seit eh und je, heute und für alle Zukunft, für jeden einzelnen Menschen. Grob gerafft lässt sich feststellen, dass mit dem Aufkommen und dem Etablieren der Einzelwissenschaften das Ideal des Weisen über die Jahrhunderte entsprechend zurückging. Das hat verschiedene Ursachen: eine Wesensschau des Weisen wurde abgelehnt; die Überschaubarkeit der Lebensverhältnisse wurde abgewiesen; das Ideal des Weisen wurde als nicht erreichbar als unsinnig erledigt; Weisheit wurde auf Lebensklugheit gestutzt; das Wesentliche wurde als Phänomen und als Begriff als nicht einlösbar abgetan; das Individuum wurde als biologistisch, interessenbezogen oder neurologisch determiniert fixiert, kein Entwicklungs- oder Bewegungsraum für Weisheit.


Richtig ist allein, dass erst Gründe eine Entscheidung bewertbar machen, dass es von den Gründen und dem Gesamtkonzept, in welches sie integriert sind, abhängt, was wir von der Entscheidung halten. Das Ur-Problem, als freies Individuum sein Leben auf die Reihe zu bekommen, bleibt … wenige, sehr wenige schaffen das, die meisten scheitern in dem einen oder anderen Ausmaß; wer hier Fortschritte macht, weiß, dass diese nicht auf Zufall beruhen, sondern auf Einsicht, die sich diszipliniert umgesetzt hat.


Weisheit basiert auf Wahrheitsstreben und pflegt einen angemessenen Umgang mit der Wahrheit. Weisheit wird so durch zwei unterschiedliche Einstellungen zur Wahrheit gekennzeichnet: die Erkenntnisrigorosität und die kontextbezogene Verhaltensrichtigkeit.

Als Fachwissenschaft genügt Philosophie als Philosophiegeschichte und Texthermeneutik wissenschaftlichen Standards; hier leistet sie Unverzichtbares. Auf allen anderen Gebieten, wo Philosophie Fuß fassen will, wird sie entweder von den entsprechenden Disziplinen erfasst oder ihr die Fachwissenschaftlichkeit abgesprochen.


Philosophie stellt sich mir als Prinzip aller Wissenschaften insofern dar, als sie als deren aller Ursprung sowie als Wächterin über sie alle verstanden werden kann, da sie um der Effektivität willen und insoweit die Wahrheitssuche in die sich ausdifferenzierenden Einzeldisziplinen entlassen hat und weiterhin unnachgiebig das Wahrheitsideal anmahnt.


Praktische Philosophie konzentriert sich auf Erkenntnistheorie und Ethik, um die Wertgebundenheit von Freiheit angemessen zu aktualisieren.