Der Antagonismus zwischen Individuum und Gesellschaft ist im Eigentlichen ein solcher zwischen Individuen

 


Das Individuum gehört sich geistig-seelisch und körperlich selbst und niemand anderem. Fremdeigentum oder Fremdbesitz geistig-seelischer oder körperlicher Art lassen sich haltbar nicht begründen. Das ist der Ausgangspunkt für die Souveränität des Individuums.


Daraus leitet sich ein Naturrecht ab, dem die staatlichen Rechtsordnungen nun einsichtig folgen oder das sie uneinsichtig bestreiten mögen. Die staatlichen Rechtszuschreibungen sind per se vorab lediglich Konventionen, wahren Wert erhalten sie erst als Vernunftrecht. Zwar wird die Bedeutung der durch eine effektive Rechtsordnung erzielten gesellschaftlichen Befriedung nicht in Abrede gestellt, aber höhere Achtung erwirbt eine Rechtsordnung allein in dem Maße, wie sie der Individualfreiheit Entfaltungsraum verschafft.


Wichtig ist die Erkenntnis, dass alle gesellschaftlichen Institutionen nie der Gesellschaft als solcher, sondern stets den hinter ihr stehenden Individuen dienen. Das gilt auch für die existentiellste Abhängigkeit, die Mutter-Kind-Dyade, sie dient ebenfalls den beteiligten Individuen. Damit sind allen Vergemeinschaftungstendenzen auf Unkosten der Individualität eine Absage erteilt. Die Vorstellung der polaren Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen ist also dahin zu präzisieren, dass auf der einen Seite die Interessen des konkreten Individuums und auf der anderen Seite die imaginierten Interessen der potentiell betroffenen anderen Individuen stehen, die bereits in existenten Normen Ausdruck gefunden haben oder anlässlich des Casus ausgemittelt werden; letztlich geht es um die Verbildlichung einer Argumentationsfigur zur Herstellung des Angemessenheitsausgleichs. Aber dieses Bild ist verfehlt, weil es Individuum und Gemeinschaft als Rechtspersönlichkeit in Kontrast bringt, dabei passt allein die gesamthänderische Verbundenheit. Jedes Recht ist deshalb Innenrecht. Auch zwischen Staaten kann es kein Außenrecht geben, weil eben alle der allverbindlichen Ordnung unterliegen, die nur offenbar gemacht wird, und zwar als Reichweiten- oder schlicht Inhaltsbestimmung der jeweils betreffenden Norm.


Das Bild ist zudem gefährlich, weil es Individuum und Gesellschaft in ein Gegenüber bringt, das Opfer und Dienst des Einzelnen missbräuchlich verselbständigen kann, der Apotheose des Gemeinwohls Vorschub leistet, verkennen lässt, dass immer nur Einzelne gegenüberstehen, weil die Gesellschaft als Ganze eine Fiktion, eine Zweckschöpfung, darstellt, die als Argumentationsinstrument eingeführt, letztlich erfunden, wurde. Die Behandlung der Vielzahl von Individuen lässt sich erleichtern durch den Kunstgriff ihrer Zusammenfassung, die nie alles oder alle abbildend erfasst. Diese Zusammenfassung mag soziologisch, ökonomisch, sonstige kulturelle Aspekte betreffend erfolgen – sie ist notwendig lückenhaft, grob, setzt ein bestimmtes erkenntnisleitendes Interesse um.


Rechtspersönlichkeit als Kunstgriff, also die Fiktion der juristischen Person, bedarf immer der Ausübung durch Individuen.


Souveränität und Naturrecht sind zunächst Gegebenheiten der Vernunft und des Willens: man bekommt sie nur als Gedanke geschenkt, Realität werden lassen muss man sie selbst, was jedenfalls Kampf bedeutet, in kleinerem oder größerem Umfang. Das Naturrecht ist aus der Souveränität abgeleitet, spiegelt diese als Kategorie für die Rechtsebene.


Das subjektive Recht ist selbstredend aus dem Souveränitäts-Axiom zwingend abgeleitet.


Es geht allein um Freiheitsschutz. Die Freiheit des einen müsse nach einem allgemeinen Gesetz mit der Freiheit des anderen vereinbar gemacht werden. Die Schranken der Freiheit des einen sind die Freiheit des anderen sowie die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz. De facto schützen wir also materielle Werte, setzen bestenfalls Vernunft um. Es geht nur um die Strukturierung von Argumentation. Das ‚allgemeine Gesetz‘ – was soll es anderes sein als vernünftige Argumentation, also Beachtung von Widerspruchsfreiheit, Gleichheit, Entscheidungsprärogativen, von Wertungskonsistenz? Das allgemeine Gesetz ist kein exklusives Schema, keine zaubergleiche Verknüpfungsregel, es dreht sich um die Kärrnerarbeit transparent gemachter Vernunft, und zwar über Argumentation.

Legalität und individuelle Moralität sind sinnvoller Weise da Kategorien unterschiedlicher Argumentationsebenen, wo es Recht und öffentlicher Moral an Vernünftigkeit erheblich mangelt. [Legalität versus öffentliche Moral; Legalität versus individuelle Moral; öffentliche Moral versus individuelle Moral; Pluralismus verlangt wieder besagte Trennung, da man sich vernunftbezogen nur auf ein ethisches Minimum als zwingend verständigen kann, der Rest der Rechtsordnung als nicht zwingend ausgewiesen werden kann, so dass man sich als Individuum dazu genügend verhält, wenn man diese Gesetze befolgt, ohne selbst sie als moralisch wertvoll zu vertreten, immerhin müssen sie aber auch diesenfalls haltbar sein, so dass ohnehin die moralische Bindungsintensität dem des nolens volens entspricht.] Ihre Gegensätzlichkeit war auch das Einfallstor allmählicher Entwicklung von Individualfreiheit innerhalb von Oppressionssystemen, indem man dem Kaiser geben konnte, was des Kaisers war, und sich selbst ein individuelles geistig-moralisches Proprium vorbehalten durfte. Wo eine Rechtsordnung die Menschenwürde an ihre Spitze stellt und diese über eine rechtsschutzbewehrte Normenhierarchie bis in den letzten Winkel des Rechtssystems umzusetzen vorsieht, ist die Luft aus besagter Gegenüberstellung heraus.