Ordnung

 

Wo es keine Ordnung gibt, hängt alles von der Macht und dem Glück ab – da kann es sehr schnell und unerwartet zu Änderungen kommen, Alterung tritt jedenfalls ein, das Nachfolgeproblem ist stets prekär, so steigen und fallen Reiche, Häuser, Große, aber gerade auch der Dutzendmensch spürt bei solcher Gegebenheit deutlicher, dass sich das Leben in allgegenwärtigen Unsicherheiten vollzieht.


Wenn dagegen Ordnung herrscht, ist die Aussicht auf Kontinuität keine Farce. Kontinuität ist die Basis für kulturelles Erblühen.


Ordnung hätte gleich Gerechtigkeit, Gemeinwohlverfolgung, Menschenwürde zu sein: an sich einfach. Aber manche sind so durch die Chance, persischer Großkönig zu werden, verblendet, dass sie das Naheliegende übersehen, den Preis der Usurpation: Damoklesschwert und Schuld; der Dutzendmensch seinerseits bildet in sich genau so wenig die Tugend aus, nur dass sich bei ihm die Verblendung auf das gierige Haschen nach dem kleinen Vorteil beschränkt. Unsere kulturellen Systeme haben uns in gewisser Weise domestiziert. Wir haben viel gut hinnehmbare Normalität geschaffen, Prosperität, Rechtsstaatlichkeit, kulturelle Vielfalt. Aber untergründig tobt immer Kampf, den wir Interessenauseinandersetzung nennen, die aber hart ausgetragen wird, eben gerade auch mit Hinterlist und bis zu voller Gewalt, wo es den Interessenten nützlich erscheint. Die Klammern der Ordnung sind durch Dekadenz bedroht. Wo Kategorien und Haltungen von Pflicht, Tugend, Respekt, Stolz mehr und mehr verschwinden, marodiert die Ordnungskraft. Sicher sind diese Kategorien und Haltungen im Laufe der Geschichte missbraucht worden, sie aber tragen die Ordnung. Eine Ordnung ist nur so effektiv, wie sie Widerhall im Subjektivum der zu ihrer Durchsetzung Berufenen wie derjenigen, die sie zu achten haben, hat. Die Kategorien und Haltungen von Pflicht, Tugend, Respekt, Stolz verbürgen die für eine Ordnung unerlässliche Leistung, Durchsetzung, Selbstbehauptung – man muss diese Kategorien und Haltungen nur entsprechend eichen, verabschiedet man sie, verliert man über kurz oder lang die Ordnung.


Nehme man die Realität unseres Rechtsstaates: wir sind für die Interessendurchsetzung zwar auf Rechtswege verwiesen, wo wir durchaus teils Rechtsfrieden erlangen, wo uns aber auch die Mächtigen und Bösen kanalisiert und kontrolliert halten und ihrerseits für sich Umgehungen erreichen, weil die staatlichen Vertreter nicht hinreichend widerhalten, der in der herrschenden Gesellschaftsdoktrin vom relativ besten Rechtssystem aller Zeiten wattierte Normalmensch ist darob verstört, ahnt zwar, gelangt aber selbstverständlich zu keinem Wissen über die realen Vorgänge, man lässt ihn im Formalen leerlaufen, schnell resigniert er, der Schneid ist leicht abgekauft, weil man nicht mehr an Schmerz und Kampf gewöhnt ist. „Drum Bürger tue Deine Pflicht, dann stirbt die Freiheit nicht.“ – als Bürger in jeder Lebensrolle, als Staatsdiener, Familienvater, Berufstätiger, usf., eben ein Thema der Kategorien und Haltungen von Pflicht, Tugend, Respekt, Stolz.