Sind Sie ein guter Mensch?
Bin ich ein guter Mensch?



Die Frage ist unausweichlich – die Antwort auch. Der Ausweg, die Frage als sinnlos abzutun, ist keiner, denn damit schneidet man sich den Wertbezug der eigenen Geistesfähigkeit ab und verliert so die Mitgliedschaft in der Kommunikationsgemeinschaft der Menschen als höherer Wesen als bloß animalischer Existenzen. Man entgeht der Antwort nicht, sie ist das Spiegelbild des eigenen Seins.

 

 

 

 

Vortragsmuster:
Ein „guter“ Mensch sein – wie geht das?


I. Warum dieser Vortrag, warum dieses Gespräch?

Wenn man ein ‚guter‘ Mensch sein will, kommt man an Ethik und Erkenntnistheorie nicht vorbei.
Dieser Feststellung eignet bereits eine gewisse Pathetik, die viele Menschen ab- oder zumindest zurückstößt. Ein ‚guter Mensch‘ – den Skrupellosen macht das mitleidig lächeln, er wittert entweder Naivität oder vermutet Geschäftssinn, aus Geschwätz Vortragshonorar zu schlagen oder sonst eine Abseitigkeit. Aber auch wohlmeinenden Personen stößt das Pathos des ‚guten Menschen‘ auf, sie erwarten den erhobenen Zeigefinger und verwahren sich gegen Belehrung auf einem Feld, wo sie sich aus ihrer Sicht tagtäglich und höchstpersönlich gegenüber den vielfältigsten Zumutungen, mit denen das Leben ‚so‘ aufwartet, bewähren – diese Leute sind zwar interessiert, aber mit aufgestellten Stacheln.

Es bleibt jedoch dabei: wenn man ein ‚guter‘ Mensch sein will, kommt man an Ethik und Erkenntnistheorie nicht vorbei.

Dazu werden wir kurz klären, was Ethik und Erkenntnistheorie bedeuten, und was wir unter einem ‚guten Menschen‘ verstehen wollen.

Ethik ist die Lehre vom richtigen Verhalten.
Das Problem springt Sie förmlich an: wann ist denn Verhalten ‚richtig‘? Wir haben darauf einzugehen (cf. sub IV.4.).

Erkenntnistheorie ist die Lehre davon, wie weit menschliche Erkenntnis reicht, wo die Grenzen der Erkenntnis liegen, jenseits derer Feststellungen nicht mehr verbindlich getroffen werden können. Wir haben darauf einzugehen (cf. sub IV.4.).

Schon jetzt ist deutlich, das ethische Aussagen erkenntnistheoretisch entweder abgesichert sein müssen, um Verbindlichkeit beanspruchen zu können, oder dass andere Verbindlichkeitskriterien nachzuweisen sind.

Der ‚gute Mensch‘: darunter soll hier jemand verstanden sein, der zum ersten weiß, warum er sich ethisch ‚gut‘ verhält. Lieb und nett im Auftreten zu sein, hilfsbereit und maßvoll usf. – das ist durchaus schön, aber es reicht nicht. Auf die geistige Durchdringung des eigenen Ethos kommt es an. Und zum zweiten ist der unbedingte Wille zum Gutsein gefordert, also das dann auch zu tun, was man als richtig anerkannt hat. Wir haben darauf einzugehen (cf. sub IV.5.).


II. Was ist das Ziel dieses Vortrages?

Zu den Themen Ethik und Erkenntnistheorie sowie zu deren sachgedanklichen Einzugsbereichen (wie die Freiheits-, die Gottesfrage, die Einordnung des Phänomens der Liebe etc.) gibt es ganze Bibliotheken. Hier soll es allein darum gehen, die Vorgaben für das Erlangen von materialen ethischen Gehalten (also: wie verhalte ich mich in einer konkreten Situation ethisch richtig?) und die Vorgaben für die Verwirklichung der guten Absichten (also: wie bestehe ich die Anfechtungen?) so unangreifbar und knapp wie möglich zu fassen. Königsfragen – freilich.


III. Ablauf des Vortrages

Ich beginne mit der konkreten Lebenssituation, in der sich eine ethische Anforderung stellt, und orte von dort die Probleme, die für die gelingende ethische Bewältigung gelöst werden müssen. Dabei wird eine typisierende Betrachtungsweise eingenommen, um sich einerseits nicht in Konkretisierungen zu verlieren, andererseits aber eine hinreichende Kasuistik zu gewährleisten. Die dazu sub IV. angeführten fünf Themen sind nicht auf zwingende Rangfolge oder Trennschärfe ausgelegt, sondern sollen den Problemhorizont abbilden. Vertieft werden gemäß dem Bedarf des Auditoriums ausgewählte Problemaspekte. Abschließend fasse ich die Kernerwägungen in ein Prüfschema zur Ethik.


IV. Brennpunkt: die ethisch relevante konkrete Entscheidungssituation

Nicht jede Lebensäußerung ist ethisch relevant. Von ethischer Relevanz sind nur solche Vorgänge, die sittlicher Bewertung unterliegen.

In der konkreten Lebenssituation wollen wir bestehen.
Dazu müssen wir:

1. über eine Vor-Wertung des Sittlichen verfügen, um überhaupt aufzunehmen, ethisch gefordert zu sein.

 

Hierbei geht es um psychische Gesundheit, das Gewissensphänomen, Erziehungsmacht, soziale Manipulation, sittliche Verrohung, die sich den ethischen Impuls abtrainiert hat, um Fragen wie: Ethik als Gottesgabe? Ethik als genetische Konstitution? Ethik als Illusion? Ethik als interessenbedingte Konstruktion? Und vor allem geht es um die bewusste Entscheidung, sich der Ethik unterstellen zu wollen bzw. die Grade solcher Bewusstwerdung und diesbezüglicher Willensanspannung.

2. die Fähigkeit in uns ausbilden, uns mit hinreichend geschärften Sinnen durch die Welt zu bewegen, um eine ethische Anforderung nicht zu übersehen.

 

Das betrifft unser Sensorium, Tatsachen zu erfassen, drängt Nachlässigkeit zurück, begründet Wachheit gegenüber den Händeln der Welt.

3. hinreichend sicher sein, über einen Bewertungskanon zu verfügen, der nicht defizitär ist, was das Erfassen der ethischen Anforderung anbelangt.

 

Dabei dreht es sich darum, unser Wertesystem überprüft zu haben, nicht Personenqualitäten oder Lebenskonstellationen zu Unrecht a limine auszuschließen.

4. ein Bewertungsinstrumentarium mitführen, aufgrund dessen wir zumindest in der Konkretisierung oder der ad hoc Weiterentwicklung zu einem adäquaten Ergebnis gelangen können.

 

Zu erörtern sind Normenverbindlichkeit (die Frage nach den Legitimationsquellen, insbesondere das Wahrheits- und Erkenntnisproblem), Handlungsrahmen für eigene Wertsetzung (das Korrelat von Freiheit und Verantwortung), heuristische Kriterien der Normgenese (Angemessenheit, Argument, System).

5. uns hinreichend in Selbstdisziplin geschult haben, das als ethisch richtig Erkannte auch zu tun.

 

Ein neuralgisches Momentum, es gibt eben nichts Gutes, außer man tut es.

Zu diskutieren sind die Themen:

 

Willenskraft (Aussteigen aus emotionaler Bedrängtheit; positives Aufladen der gewählten Pflicht; widerständigen Emotionen wird das Mitspracherecht im Handlungsvollzug entzogen, Sich-Wohlfühlen ist insofern nicht relevant; das Sich-Wohlfühlen spielt erst auf der höheren Ebene der Selbstbewertung der Pflichterfüllung eine entscheidende Rolle; mit jedem gelungenen Durchlaufen eines solchen Prozesses verringert sich das Bedrängtheitsempfinden und steigern sich Selbstwertgewissheit, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen),

 

Resilienz (das Standhalten gegenüber Bosheit, Zermürbung, Verlust, Schmerz, Tod; die Sinnfrage schlechthin)

 

und Schuld (die horrend unterschätzte Bedeutung von Verantwortung).


V. Ausgewählte Problemaspekte

Wenn wir Ethik wollen würden, hätten wir sie längst.
Ja, es ist eine Willensangelegenheit, im Letzten ist es eine Willenssache.
Sicher muss dem Willen der Inhalt vorgegeben werden, das kognitive Element wird nicht kleingeredet. Aber dass man überhaupt konsequent ethisch relevante Antworten ergründet, ist eine Willensfrage. Die Umsetzung des als ethisch relevant Erkannten dann ist das Willensthema schlechthin.
Allerorten fehlt es an besagter Willensdisziplin.
Sich darüber aufregen? Beim ersten Erfassen dieses Zusammenhangs o.k., dann aber Kraftvergeudung. Wichtig ist, durchschaut zu haben, dass Menschen vor nahezu keiner Selbst- und Fremdlüge zurückschrecken, um ethische Willensanforderungen nicht bestehen zu müssen.

Wem können Sie denn trauen?
Sobald Interessen im Spiel sind, müssen Sie – je nach Gewicht solcher Interessen – sogar mit allem rechnen. Zumeist wissen Sie nicht, welche Interessen im Spiel sind, geschweige denn, welches Gewicht Ihr Gegenüber diesen Interessen beimisst. Der griechische Philosoph und Dichter Epicharm stellte fest: Sei nüchtern und misstraue. Ein freudloses Dasein, Misstrauen frisst Freude, nimmt Unbeschwertheit, Frische wird schal – tatsächlich geht es lediglich um das Aushalten der Spannungen, die menschliche Begegnung heraufführt, die Spannungen des Möglichen, das in dieser Begegnung geborgen ist; durch Erfahrung erworbenes Einfühlungsvermögen, Weltläufigkeit und Selbstgewissheit lassen die Enttäuschungen erträglich werden und halten eine breite Schneise offen für die Wahrnehmung des Schönen.
Wem können Sie also trauen?  Denen, die bewährt sind, zu denen Sie einen Kontakt pflegen, der echte Argumentation verbürgt – selten, sehr selten.
Wem können Sie trauen? Letztlich nur sich selbst? Viele können gerade das nicht. Sie haben sich nicht „im Griff“. Das liegt daran, dass sie sich nicht entschieden haben.
Wer ethisch entschieden ist, der kann sich selbst vertrauen.


VI. Prüfschema zur Ethik

1. Ich will ethisch handeln.
Ich habe mich als entscheidungsbefähigt und als sittlich verantwortlich erkannt und angenommen.
Ethische Richtigkeit ist vornehmliches Thema meiner Selbstachtung.

2. Ich bin geistig gewappnet.
Meine Wurzeln senken sich tief in Sinn.
Mein Weltkonzept ist hinsichtlich der Eckwerte ausgearbeitet.

3. Ich kann mit dem Themenbereich Lebensfreude umgehen.

4. Ich kann mit dem Themenbereich Entsagung, Schmerz, Tod umgehen.

5. Ich bin glücklich, ich weiß, dass ich mir vertrauen kann.


(Die Punkte 3. bis 5. mögen zunächst als nicht in ein Ethik-Konzept gehörend erscheinen. Tatsächlich jedoch sind sie unerlässlich, um einen souveränen Umgang mit den ethischen Anforderungen soweit als menschenmöglich sicherzustellen.)