Ist es möglich, stets glücklich zu sein?



Wenn man den Begriff ‚glücklich sein‘ für Momente außerordentlichen, überbordenden Wohlbefindens reserviert, dann selbstredend nicht. Es geht um höchst bewertete emotionale Lagen, die im Leben gezählt sind.


Meint man mit dem Begriff ‚glücklich sein‘ das Zufallen von ganz herausgehobenen Zuträglichkeiten, dann gilt das nämliche – wobei sich aber zeigt, dass es subjektiv auf den Niederschlag in der Emotio ankommt. Trotzdem bleibt dieser objektive Ansatz richtig, um über Glück reden zu können.


Versteht man dagegen unter ‚glücklich sein‘ den emotionalen Parallelpart einer selbst erzeugten inneren Haltung, so erscheint es zwar nicht erreichbar, diesen betreffenden Zustand stets zu halten, und zwar deshalb nicht, weil der Mensch zum einen keine Maschine ist, die auf Gleichlauf gebracht werden könnte, zum anderen nicht, weil nicht sämtliches Erlebte emotional merklich wird, und schließlich deswegen nicht, weil das Erlebte unterschiedlichen Zugriffsaufwand, sprich: Verarbeitung, aus jener Haltung heraus erfordert, deren emotionaler Parallelpart das Glücksempfinden darstellt. Tatsächlich aber kann die Empfindung von Glück als emotionale Spiegelung besagter innerer Haltung eine auf hohe Dauer gestellte Angelegenheit werden. In diesem Verständnis bedeutet ‚glücklich sein‘: in Übereinstimmung mit sich selbst, also den eigenen Vorstellungen von richtigem Verhalten, zu leben.

Die Nachfrage ist gestattet: macht es glücklich, in Übereinstimmung mit sich selbst zu sein? Kann es nicht unter Umständen einen fürchterlichen Preis haben, in Übereinstimmung mit sich selbst zu handeln, der Boshaftigkeit von Welt zum Trotz?


Sicher, aber wenn Sie in der Übereinstimmung mit sich sind, haben Sie Ihre Entscheidung getroffen.


Aber das  muss sich doch nicht gut anfühlen, es kann doch größten Schmerz bedeuten, nicht wahr?


Sie haben bewertet, was Ihnen wichtiger war. Und Sie trennen ganz klar auf der einen Seite zwischen den Empfindungen und Erlebnissen, die Sie dabei haben, wenn Sie Ihre Entschiedenheit vollziehen, sowie Ihrer inneren Gestimmtheit, die Sie hinsichtlich Ihrer Entscheidung als solche begleitet, auf der anderen Seite. Das hier gemeinte Wohlbefinden, dieses Verständnis von Glücklichsein, die Eudaimonia, knüpft an das individuelle Sich-Selbstbestimmen an, das Wesentliche und beglückende am selbstbestimmten Verhältnis zu den Dingen und Ereignissen, in welches man sich selbst versetzt, ist eben das Sich-Selbstbestimmen, fertig zu werden mit allem.

Wann ist man denn ‚in Übereinstimmung mit sich selbst‘?
Wenn man das eigene Verhalten als richtig bewertet.

Dann muss man das eigene Verhalten stets durch eine Prüfschleife geschickt haben, ehe man ‚glücklich‘ ist – Glück als Selbstlob?


Mit Schaudern springen den einen weitere Fragen an: Ende der Spontaneität? Unerreichbares Wissen, um die Richtigkeitsbewertungen vornehmen zu können? Verkopftheit, also gehälftetes Menschsein? Glücklichsein als Disziplinübung?


Wird womöglich ein Etikettenschwindel mit dem Begriff des Glücklichseins betrieben, schließlich bleiben die oben genannten ersten beiden Konstellationen des Glücks? Wie sollen sie bezeichnet werden? ‚Großes Glück‘ im Gegensatz zum hier in der dritten Konstellation angesprochenen ‚kleinen Glück‘, einem ‚Glückchen‘?

Das Glücksempfinden, das aus der Übereinstimmung mit sich selbst erwächst, ist als ‚Glückchen‘ gänzlich unterbewertet. Es geht um eine Grundgestimmtheit, die sich dem Leben in allen seinen Facetten stellt.


Was ist das Alternativprogramm? Hoffen, dass der Tag gelingt? Dass es einen nicht zu hart trifft? Einfach leben, das machen, was ansteht, schauen, was sich auftut, gut wegkommen, zugreifen?

Leben sei das, was wir daraus machen.


Sicher gibt es Leben außerhalb des Einzelnen und außerhalb seiner/ ihrer Wahrnehmung. Und wir benötigen einen objektiven Begriff von Leben, der uns erst ermöglicht, intersubjektiv über das Phänomen Leben zu reden. Insofern ist die Sentenz missdeutig. Aber soweit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass es für unser Wohlleben auf das Verhältnis ankommt, in das wir uns selbstbestimmt zu unserem Leben versetzen, ist die Sentenz zutreffend. Unser Leben weist verfügbare und nicht verfügbare Komponenten auf. Im änderbaren und als veränderungsbedürftig eingestuften Bereich haben wir selbstbestimmt zu wirken, wo sich nichts machen lässt, nehmen wir selbstbestimmt in der einen oder anderen Weise hin oder führen ein Ende herbei.

Die Eudaimonia tut stets ihre Wirkung, das äußere Geschehen hat nie ausschlaggebenden Wert. Aber das äußere Geschehen tötet etwa, foltert, übt Verrat, verursacht Enttäuschung, schenkt Liebe, Erkenntnis, lässt einen in Ausweglosigkeit geraten, dauernde Unabänderlichkeit. Wie soll man vor solch ausschlagender Kontingenz sich gleich bleiben? Das Schöne herunterkühlen und das Schlimme schönreden, Management emotionaler Stase? Mitnichten.


Sicher: es bleibt Arbeit an sich selbst, das gesamte irdische Leben lang, Aushalten von Spannungen, Auskosten von Freuden, aber diese Arbeit fällt zunehmend leichter, die Erfolge werden tiefer und schöner. Wer anderes behauptet lügt oder redet leichtfertig. Es gibt keine Zauberformel, und bis zur letzten Sprosse kann man von der Leiter fallen. Solange man es sich nicht zur inneren Haltung gemacht hat, dass diese Welt ein Ort der Bewährung ist, wird man sich nicht höher entwickeln und inneren Frieden nicht erlangen. Und solange man nicht erfasst hat, dass Bewährung Schlimmstes bereithalten mag, bleibt die eigene Haltung zu sehr störbar. Was setzen die meisten Menschen nicht alles ein, das Paradies der Unmündigkeit nicht verlassen zu müssen, wie vermessen verhalten sich diejenigen, die im Wohlleben schwelgen. Nachdenken und Selbst-Disziplinierung strengen an, Selbstbetrug ist einfacher – man kann nur den Kopf darüber schütteln, dass jemand sich selbst so wenig wert ist, dass er/ sie sich selbst betrügt.