Einsatz



Es ist nicht so, dass die Bösen nicht Einsatz erbringen würden, gegebenenfalls einen Höchsteinsatz, wie ihn sogenannte gute Menschen oft nicht zustande bringen.


Die Bösen dabei sind all diejenigen, die vorwerfbar kein hinnehmbares Sittlichkeitskonzept verfolgen.


Von Leistung möchte ich nicht sprechen, weil in den hier thematisierten Konstellationen gerade die sittliche Qualität ausgeschlossen ist. Zwar wird der Leistungsbegriff vielfach neutral verwendet, etwa die Leistung einer Maschine, die eines 100-Meter-Sprinters, da es vorliegend aber um Fähigkeitsentfaltung unter ethischer Beurteilung geht, soll jegliche positive Konnotation der Kraftbündelung vermieden werden.

Die Guten sind solche, die sich bewusst innerhalb eines hinnehmbaren Sittlichkeitskonzepts bewegen.


Wann haben wir es mit einem hinnehmbaren Sittlichkeitskonzept zu tun? Dann, wenn der Zentralwert und die Eckwerte des Sittlichkeitskonzeptes die Gesamtheit möglicher ethischer Bewertungen umfassen und widerspruchsfrei zusammenstimmen oder bewusst darauf ausgerichtet sind.

Man nehme als Muster für die ‚Bösen mit persönlichem Höchsteinsatz‘ Spartaner, deren Sklavenhaltersystem zu den abgefeimtesten der Weltgeschichte zählt, Wikinger auf Raubfahrt, machiavellistischer Renaissanceadel, Piraten der Vormoderne, Geschäftsleute des Industriezeitalters, die ohne jeden Skrupel aus dem Nichts ein Wirtschaftsimperium erschaffen haben, Mafiosi, die sich zur Machtspitze hochgekämpft haben – alles Menschen, die ihre gesamte Existenz in den Lebenskampf eingebracht, gewaltigen Anforderungen mit noch größerer Haltung getrotzt haben. Deren Haltung aber nicht achtenswert ist. Deren großer Einsatz deshalb nichts wert ist. Nichts wert ist.


Es reicht sogar noch weiter. Solche Typen haben Schuld auf sich geladen. Ihr Kredit steht nicht lediglich auf Null, er befindet sich je nach dem Ausmaß ihrer Schuld tief im Minus.
Schuld ist Vorwerfbarkeit.

Was hinterlässt ein böser Mensch, was bleibt von ihm nach seinem Tod? Bösartigkeit erschafft was? Was erschaffen Hinterlist, Heimtücke, Verrat, Verschlagenheit, Grausamkeit, Gier, Lüsternheit? Vermögenstitel, Rausch, mehr oder weniger gesicherte Ausgangspositionen für Willkürentfaltung; und was bleibt davon? Ein bemakeltes Gedächtnis und bemakelte Materie. Bösartigkeit bringt keine Achtbarkeit hervor, nie Liebe.

So viele große Böse gebe es doch nicht; wieso soviel Aufhebens um sie machen? Sie haben Geschichte gemacht und machen Geschichte.

Es gibt die großen Bösen und die mittelgroßen Bösen und die kleinen Bösen, alle Abstufungen. Vom Prinzip her dreht es sich um dasselbe. Um die Unausgegorenheit des Sittlichkeitskonzeptes, dem gemäß man handelt.

Selbstverständlich mögen Sie die hier angerissenen Zusammenhänge um das ‚böse‘ Individuum in Frage stellen. Aber haben Sie stichhaltige Gründe dafür? Die haben Sie nicht – oder? Denken Sie nach. Eine widerspruchsfreie Argumentation kriegen Sie nicht hin. Wenn es anders sein sollte: formulieren Sie Ihre widerspruchsfreie Argumentation, schreiben Sie sie nieder, spätestens dann werden Sie bemerken, dass es nicht geht.


Und weiter:


Sie wollen gut sein, wissen aber angeblich nicht, was das sei?


Intellektuell ist bei der unmittelbaren Anwendung zumeist keine große Leistung gefordert. Sicher gibt es vertrackte Konstellationen, deren ethische Beurteilung verschachtelte Faktoren sowie Nah- und Fernwirkungen zu berücksichtigen hat. Die Alltagssituationen sind dagegen in der Regel Standard.


Das Problem liegt vielmehr in dreierlei: einmal darin, sich überhaupt erst bewusst zu werden, dass man sein eigenes Richtigkeitskonzept benötigt (Erwachen zur Individualfreiheit), zweitens darin, dieses eigene Richtigkeitskonzept zu erstellen (in der Tat ein intellektueller Aufwand) und zum dritten darin, dann das von einem selbst für richtig Erachtete in der konkreten Situation auch zu tun (hier geht es vornehmlich um Willensaufwand).